Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordnete, werte Senatorinnen und Senatoren, verehrte Delegierte der Regionen,
gestatten Sie mir vorab den Institutionen, die Sie vertreten, meine von weit her rührende Anerkennung zum Ausdruck zu bringen und Ihnen zu danken, dass Sie mich mit so großer Zustimmung zum Präsidenten der Republik gewählt haben. Dieses Zeichen erneuerten Vertrauens greife ich auf und ich verstehe seinen Sinn durchaus, auch wenn es meine Kräfte auf eine schwere Probe stellt. Besonders zu schätzen weiss ich, dass dies von zahlreichen neugewählten Parlamentariern und Parlamentarierinnen ausgeht die, nicht nur mit Blick auf den Altersunterschied, einer ganz anderen Generation angehören als ich.
Ich bin mir bewusst, dass sich darin auch etwas widerspiegelt, das mich noch viel tiefer berührt: das Vertrauen und die Zuneigung, die zahlreiche Bürger, Italiener, Männer und Frauen jeden Alters und jeder Region mir und der Einrichtung, die ich repräsentiere, entgegenbringen und die im Laufe der Jahre immer größer wurden, beginnend mit all den Menschen, denen ich auf der Straße, den Plätzen und in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Bereichen begegnet bin, um gemeinsam das Entstehen unserer nationalen Einheit noch einmal zu durchleben.
Wie Sie alle wissen, hatte ich nicht die Absicht in diesen Saal zurückzukehren um noch einmal einen Amtseid abzulegen und eine Ansprache als Präsident der Republik zu halten.
Bereits im Dezember vergangenen Jahres hatte ich vor der Öffentlichkeit erklärt, dass ich die gewichtige Meinung teile, dass eine Nicht-Wiederwahl nach Ablauf der 7-jährigen Amtszeit „die Alternative darstellt, die unserem Verfassungsmodell des Präsidenten der Republik am besten entspricht". Außerdem hatte ich die Notwendigkeit betont, durch eine natürliche Nachfolge im Amt des Staatschefs ein Zeichen der Normalität und der institutionellen Kontinuität zu setzen.
Diese Überlegungen und meine persönlichen Gründe, die ganz offensichtlich altersbedingt sind, wurden schließlich von anderen überlagert, die mir nach dem gescheiterten fünften Wahlgang in diesem Saal von Montecitorio in einem immer angespannteren Klima seitens der Exponenten eines breiten Spektrums von parlamentarischen Kräften und fast allen Präsidenten der Regionen vorgetragen wurden. Tatsächlich schienen mir Letztere besonders hellhörig für die Unwägbarkeiten, die man auf Ebene der lokalen Einrichtungen wahrnimmt, da diese trotz der Schatten von Korruption und Nachlässigkeit, den Bürgern besonders nahe sind. Diese Institutionen verdienen mein offenes Ohr und meine Achtung, meine Damen und Herren Delegierte aus den Regionen, aufgrund ihrer nicht zentralisierten Sicht des Staates, die es bereits zu Zeiten des Risorgimento gab und die nun endlich mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Konsequenz vorangetrieben werden muss.
Bei den Treffen am Samstagvormittag zeigte sich eine dramatische und allarmierende Situation, nämlich die direkte Gefahr, dass sich das Parlament bei der gemeinsamen Sitzung nur noch im Kreis dreht und unfähig ist Ergebnisse zu erzielen und ihre oberste konstitutionelle Aufgabe, die der Wahl des Staatschefs, zu erfüllen.
So kam es zu dem Appell, dem ich mich aufgrund meiner langjährigen und tief verwurzelten Identifizierung mit dem Schicksal dieses Landes nicht verweigern konnte, soviel Kraft es mich auch kostet.
Die Wiederwahl zu einer zweiten Amtszeit eines scheidenden Präsidenten war in der Geschichte der Republik bisher noch nicht vorgekommen, obgleich es in der Verfassung nicht ausgeschlossen war, die für diesen Fall, wie bedeutsamerweise angemerkt wurde, „ein Fenster für außergewöhnliche Zeiten offen lässt. ". Wir stehen somit vor einer vollkommen rechtmäßigen, wenn auch außergewöhnlichen Entscheidung, da es das soeben angesprochene Risiko in dieser Form bisher noch nicht gegeben hat. Dies wird durch die akuten Schwierigkeiten und die regelrechte Notstandssituation unseres Landes in einem höchst kritischen und für Italien immer stringenteren europäischen und internationalen Rahmen noch gravierender.
Es galt nun dem Land und der Welt ein Zeugnis für Bewusstsein und nationalen Zusammenhalt zu liefern, wie auch für institutionelle Vitalität und den Willen, Antworten auf unsere Probleme zu finden und somit zu einem neuen Selbstvertrauen und erneuertem internationalen Vertrauens in Italien zu gelangen.
Dieser Prüfung habe ich mich nicht entzogen. Dabei ist mir bewusst, dass die Ereignisse der vergangenen Tage das Ergebnis einer langen Reihe von Unterlassungen und Fehlern, Verweigerungen und Unverantwortlichkeiten darstellen. Dies möchte ich in Folge in einem kurzen Überblick darstellen:
In den letzten Jahren wurde auf den grundlegenden Bedarf und die immer lauteren Forderungen nach institutionellen Reformen und der Erneuerung von Politik und Parteien, die mit einer akuten Finanzkrise, einer schweren Rezession und wachsendem sozialen Unbehagen einhergingen, keine zufriedenstellende Antwort gegeben. Stattdessen nahmen Konfrontationen, Langsamkeit, Zaudern hinsichtlich der richtigen Entscheidungen, Berechnung, Taktierereien und Instrumentalisierungen immer mehr Überhand. Dies genau ist der Grund, aus dem die Konfrontation zwischen den politischen Kräften und die Debatten im Parlament zur Sterilität oder zu Minimalergebnissen verurteilt war.
Die wenigen Korrektur- und Innovationsmaßnahmen, die in Sachen Kürzungen der politischen Ausgaben, Transparenz und Moral im öffentlichen Leben durchgesetzt werden konnten, wurden einfach ignoriert oder abgewertet und die Unzufriedenheit und der Protest gegen Politik, Parteien und Parlament wurden mit Unbedachtheit (und auch einer gewissen Oberflächlichkeit) durch destruktive Meinungskampagnen und einseitige, undifferenzierte und vernichtende Darstellungen der Politik, der Organisationen und der Institutionen, denen sie angehören, geschürt und aufgebauscht. Vorsicht: Ihr Applaus zu diesem Aufruf meinerseits darf nicht zu allzu großer Nachsicht euch selbst gegenüber führen, womit ich nicht nur die Mitverantwortlichen für die Verbreitung der Korruption in den verschiedenen Sphären der Politik und der Verwaltung meine, sondern auch diejenigen, die für die Unterlassung der Reformen verantwortlich sind.
Unverzeihlich ist auch das Ausbleiben der Reform des Wahlgesetzes aus dem Jahr 2005. Erst vor wenigen Tagen musste Präsident Gallo darauf verweisen, dass die Empfehlung des Verfassungsgerichts, insbesondere die Bestimmung über die Vergabe eines Mehrheitszuschlags ohne Erreichen eines Mindestquorums an Stimmen oder Sitzen zu überprüfen, völlig unbeachtet blieb.
Die nichterfolgte Revision dieses Gesetzes führte zu einem heftigen Kampf auf Messers Schneide um diese abnorme Prämie, wobei es dem Gewinner schließlich nicht gelang eine solche Űbervertetung im Parlament zu handhaben. Es ist nun eine sicherlich nicht unvorhersehbare Tatsache, dass dieses Gesetz ein Wahlergebnis hervorgerufen hat, mit dem nur schwer zu regieren ist und das zu erneuter Frustration bei den Bürgern führte, da diese die Kandidaten nicht direkt bestimmen konnten.
Nicht weniger unverzeihlich ist die Ergebnislosigkeit hinsichtlich der sowieso schon begrenzten und gezielten Reformen im zweiten Teil der Verfassung, die mühsam vereinbart und dann zu Grabe getragen wurden und im Übrigen nie dazu führten, das Tabu des paritätischen Zweikammersystems zu brechen.
Viel wäre dazu noch zu sagen, doch möchte ich es nun dabei belassen, da ich zu diesen spezifischen Themen bereits jeden erdenklichen Überzeugungsversuch unternommen habe und dabei auf nichts als taube Ohren bei den politischen Kräften stieß. Die gleichen Kräfte, die mich im Übrigen jetzt aufgefordert haben eine weitere Amtszeit anzutreten, um die Institutionen aus dem fatalen Patt herauszuführen. Doch ist es meine Pflicht offen zu sprechen: sollte ich nochmals auf eine derartige Taubheit stoßen, werde ich ohne Zögern, und vor dem Land, alle Konsequenzen daraus ziehen.
Es geht nicht mehr, dass man sich, egal in welchem Bereich, der Vorschlagspflicht entzieht, der Suche nach praktikablen Lösungen, der deutlichen und zeitigen Entscheidung für die Reformen, die eine unaufschiebbare Voraussetzung für das Überleben und Gedeihen der Demokratie und der italienischen Gesellschaft darstellen.
Als ich im August 2011 in Rimini zu einer großen Versammlung von Jugendlichen sprach, versuchte ich den roten Faden bei der 150-Jahrfeier der italienischen Einheit zu verdeutlichen: die Verpflichtung, das volle Bewusstsein darüber „ was Italien und die Italiener in entscheidenden Momenten ihrer Vergangenheit zu sein gezeigt haben " sowie über die „großartigen menschlichen und moralischen Ressourcen an Intelligenz und Arbeit, über die wir verfügen" weiterzugeben. Dem fügte ich hinzu, dass ich damit beabsichtigte, den Stolz und das Vertrauen zu fördern „da die vor uns liegenden Herausforderungen und Bewährungsproben heute noch tiefer und unsichereren Ausgangs sind denn je. Das sagt uns die Krise, die wir gerade durchqueren. Eine internationale, europäische Krise und mitten darin Italien, mit all seinen Stärken und Schwächen, mit seinem Erbe an alten und neuen Problemen institutioneller und politischer, struktureller, sozialer und ziviler Natur".
Hierzu kann ich die Worte wiederholen, die ich vor eineinhalb Jahren benutzt habe. Damit möchte ich einerseits alle auffordern die Sprache der Wahrheit zu sprechen - weitab von jeder banalen Unterscheidung zwischen Pessimisten und Optimisten - andererseits aber den Diskurs auf eine Reihe von Zielsetzungen hinsichtlich der institutionellen Reformen und der Vorschläge zur Ankurbelung einer neuen, gerechteren und nachhaltigeren wirtschaftlichen Entwicklung lenken.
Was diesen Diskurs betrifft, so kann ich im Rahmen und Zeitraum dieser Ansprache natürlich nur auf die Dokumente der beiden Arbeitsgruppen verweisen, die ich am 30. März dieses Jahres eingerichtet habe. Diesen Dokumenten kann man, wenn nicht aus rein intellektueller Lust am Polemisieren, ihre Ernsthaftigkeit und Konkretheit nicht absprechen. Diese gründen nämlich auf systematischen Arbeiten nicht nur der Institutionen, in denen die Mitglieder der beiden Gruppen wirken, sondern auch die anderer Einrichtungen und qualifizierter Vereinigungen. Wenn es heißt, dass viele der in diesen Texten enthaltenen Hinweise bereits hinlänglich bekannt seien, so bedeutet dies wohl, dass man nun auf politischer Ebene zur Tat schreiten muss; wenn es heißt, dass besonders zu institutionellen Angelegenheiten unterschiedliche Optionen zu verschiedenen Themen offen gelassen wurden, so bedeutet dies wohl, dass es an der Zeit ist abschließende Entscheidungen zu treffen. Natürlich kann man, wenn man dies will und mit dem Beitrag aller, auch darüber hinaus gehen.
Als Kommentar hierzu möchte ich zwei Dinge anmerken. Erstens die Notwendigkeit, dass zu den wesentlichen Zielen bei der Reform der Wege demokratischer Beteiligung und der politischen Parteien, der repräsentativen Einrichtungen, der Beziehungen zwischen Parlament und Regierung und zwischen Staat und Regionen, besonderes Augenmerk auf die Stärkung und Erneuerung der staatlichen Organe und Gewalten gelegt wird. Diesen bin ich in den vergangenen sieben Jahren sehr nahe gestanden und es ist sicher nicht notwendig, dass ich ihnen heute noch einmal meine förmliche Wertschätzung ausspreche, egal ob es sich um die Streitkräfte, die Ordnungskräfte, die Staatsanwaltschaft oder den Gerichtshof, der die höchste Garantie für die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze darstellt, handelt. Große Aufmerksamkeit verdient der Schutz der Freiheit und Sicherheit angesichts neuer krimineller Auswüchse und neuer umstürzlerischer Tendenzen und ebenso angesichts gewisser Erscheinungen der Spannung und Unordnung in den Beziehungen zwischen verschiedenen Staatsgewalten und verschiedenen konstitutionell relevanten Einrichtungen.
Man möge auch auf die Fehlinformationen und Polemiken reagieren, die das Militär betreffen, das gerade einen ernsthaften Reformprozess durchläuft. Dieses Instrument steht im Geist der Verfassung der italienischen Beteiligung an Stabilisierungs- und Friedensmissionen der Völkergemeinschaft vor, und dies auch dank der großzügigen Aufopferung nicht weniger junger Menschen.
Die zweite Anmerkung betrifft den Wert der in dem bereits von mir erwähnten Dokument weit entwickelten Vorschläge zur „Bewältigung der Rezession und Wahrnehmung der Gelegenheiten", die sich bieten um „auf die kommenden Entscheidungen der Europäischen Union Einfluss zu nehmen", „um Arbeit zu schaffen und zu fördern", um Bildung und Humankapital zu stärken, Forschung, Innovation und das Wachstum der Unternehmen zu fördern".
Bei der Betonung dieser letzten Punkte merke ich an, dass ich mich für sie auf jeder institutionellen Ebene und bei jeder Gelegenheit eingesetzt habe und dies auch weiter tun werde. Hierbei geht es um wesentliche Fragen zur Qualifizierung unseres erneuerten und unabdinglichen Einsatzes für den Fortschritt des geeinten Europas und darum, dazu beitragen dessen Kriterien der finanziellen Nachhaltigkeit und der Währungsstabilität einzuhalten. Außerdem wird dadurch der Dynamik und dem Geist der Solidarität neuer Schwung verliehen und die unersetzlichen Anregungen und Vorteile aufs Beste genutzt.
Diese wesentlichen Punkte betreffen, angesichts der erschreckend wachsenden Arbeitslosigkeit, auch die Schaffung von Arbeit und die Qualität des Arbeitsangebots, die große soziale Frage, die heute in Italien und Europa auf die Tagesordnung drängt. Es geht um die Zukunftsperspektiven einer ganzen Generation, es geht um die effektive und vollständige Aufwertung weiblicher Ressourcen und Energien. Verzweiflungstaten von Unternehmensgründern und Arbeitern, junge Menschen, die ihren Weg nicht finden und Frauen, die ihre Randposition oder Subalternität als unerträglich erleben dürfen uns nicht gleichgültig lassen.
Der Wunsch nach Veränderung, bei dem jeder den Wählerkonsens auf seine eigene Weise interpretiert, bedeutet nichts und führt zu wenig, wenn er sich nicht an den erwähnten Problemen misst, die jüngst objektiv und unparteiisch auf den Punkt gebracht worden sind. An diesen Problemen muss man sich messen, damit sie Programm der künftigen Regierung werden und Gegenstand der Entscheidungen des Parlaments, das seine Tätigkeit gerade aufnimmt. Sie müssen Angelpunkt eines neuen kollektiven Verhaltens seitens der Kräfte - besonders in der Welt der Arbeit und der Unternehmen - werden, die „ gehemmt und verängstigt erscheinen und erstarrt in Abwehr und Unbehagen angesichts der Innovation, die doch der eigentliche Motor der Entwicklung ist". Die Gesellschaft muss sich wieder öffnen und benötigt neuen Schwung. Der Mezzogiorno muss einen Kraftakt vollbringen um aus eigener Anstrengung aus einer Spirale der Zurückgebliebenheit und Verarmung auszubrechen.
Das Parlament hat vor Kurzem sogar einstimmig beschlossen, einige dringende Maßnahmen zu unterstützen, die die noch amtierende Regierung Monti ergreifen musste, und die diese im Rahmen einer wirtschafts-, finanz- und europapolitischen Anstrengung ergriffen hat, die sicherlich ein sachlicheres Urteil erhalten wird, je weiter das Wahlkampfklima in den Hintergrund tritt und Bilanz über die Rolle, die im Laufe des Jahres 2012 innerhalb der Europäischen Union erreicht wurde, gezogen wird.
Ich würdige den Einsatz, den eine von der Wählerschaft ausgiebig prämierte neue politisch-parlamentarische Bewegung in Kammer und Senat bewiesen hat und somit das Gewicht und den Einfluss gewinnt, die ihr zustehen. Das ist der Weg einer fruchtbaren, wenn auch rauen, demokratischen Dialektik, nicht aber die abenteuerliche und abwegige Dialektik der Konfrontation zwischen dem Volk auf der Straße und dem Parlament. Übrigens kann auch die Konfrontation zwischen dem Netz und politischen Organisationen, wie die Parteien sie seit über einem Jahrhundert überall darstellen, nicht dauerhaft fortbestehen und Früchte tragen.
Das Netz bietet wertvolle Zugänge zur Politik, neue individuelle Möglichkeiten des politischen Ausdrucks und Eingreifens und auch Anregungen zur Aggregation und zum Ausdruck von Zustimmung und Ablehnung. Es gibt jedoch keine wirklich demokratische, repräsentative und wirkungsvolle Teilhabe an der Entstehung öffentlicher Entscheidungen ohne Parteien, die fähig sind sich zu erneuern oder organisierte politische Bewegungen, die jedoch alle an den konstitutionellen Imperativ der „demokratischen Methode" gebunden sein müssen.
Die im Parlament vertretenen Kräfte müssen jetzt aber, in dieser für Italien und Europa entscheidenden Phase, ausnahmslos ihren Beitrag zu den zur Erneuerung des Landes notwendigen Entscheidungen geben. Und ohne sich vor konvergierenden Lösungen zu scheuen, nachdem man sich vor Kurzem in beiden Kammern nicht gescheut hat, einstimmig abzustimmen. Sie alle, verehrte Abgeordnete und Senatoren, müssen sich als Teil der parlamentarischen Institution fühlen, und zwar nicht als Vertreter einer Gruppierung, sondern als Hüter des Willen des Volkes. Es muss konkret, geduldig und im konstruktiven Geist gearbeitet werden, es müssen besonders in den Ausschüssen von Abgeordnetenkammer und Senat Kompetenzen eingesetzt und erworben werden. Gestatten Sie, dass Ihnen das einer sagt, der mit 28 Jahren als Abgeordneter hier angefangen hat, und jeden Tag sein Scherflein zur Entwicklung des demokratischen politischen Lebens beigetragen hat.
Im Parlament an den brennenden Problemen des Landes zu arbeiten ist nur mit einer Regierung möglich, die sowohl für die Mehrheit, als auch für die Opposition ein wesentliches Gegenüber darstellt. 56 Tage nach den Wahlen vom 24. und 25. Februar - und nachdem man sich auch der Wahl des Staatspräsidenten widmen musste - gilt es nun unverzüglich zur Aufstellung der Regierung zu schreiten. Doch laufen wir dabei nicht all den Formeln und Definitionen hinterher, von denen so viel geredet wird! Der Präsident hat nicht die Aufgabe, Mandate zur Regierungsbildung zu erteilen, die an irgendeine Vorschrift gebunden sind, mit Ausnahme der in Artikel 94 der Verfassung: dass nämlich die Regierung das Vertrauen der beiden Parlamentskammern benötigt. Der Regierung steht es dann zu, entsprechend der ihrer Ansicht nach angemessenen Prioritäten und der zeitlichen Ausblicke ein Programm zu erstellen.
Es gibt folglich nur eine Bedingung: man muss den wirklichen Kraftverhältnissen im eben gewählten Parlament Rechnung tragen und dabei wissen, welche Prüfungen der Regierung bevor stehen und wo die wirklichen Bedürfnisse und das allgemeine Interesse des Landes liegen. Auf Grundlage der Wahlergebnisse, die man nur anerkennen kann - ob es einem gefällt oder nicht - gibt es keine Partei oder (angeblich oder wirklich homogene) Koalition, die um Stimmen zum Regieren gebeten hat und genügend erhalten hat, um dies aus eigener Kraft tun zu können. Egal welche Perspektiven man den Wählern vorgelegt, egal, welchen Pakt- wenn man es lieber so ausdrücken möchte- man mit den Wählern geschlossen hat, das Gesamtergebnis der Wahlen darf nicht außer Acht gelassen werden. Und diese zeigen die unabdingbare Notwendigkeit von Abkommen zwischen verschiedenen Kräften an, um heute in Italien eine Regierung ins Leben zu rufen und am Leben zu erhalten. Auf anderer Ebene darf dabei die Notwendigkeit weitgreifender Abkommen, nämlich zwischen Mehrheit und Opposition, nicht vernachlässigt werden, um gemeinsam Probleme zu lösen, die von gemeinsamer institutioneller Verantwortung sind.
Übrigens heute in Europa wird nicht einmal mehr das Vereinigte Königreich - ein Land mit gefestigter demokratischer Tradition - von einer einzigen Partei regiert; es gibt in der Norm Regierungen die von mehreren Parteien gebildet oder zumindest gestützt werden, die einander traditionell nahe oder ferne stehen, oder sogar erbitterte Widersacher sind.
Dass sich in Italien eine Art Horror vor jeder Möglichkeit von Abkommen, Allianz, Vermittlung oder Annäherung zwischen verschiedenen politischen Kräften verbreitet hat, ist Zeichen der Rückentwicklung, des Ausuferns der Meinung, man könne Politik machen ohne die komplexen Probleme der Regierung der öffentlichen Sache zu kennen oder anzuerkennen, sowie die Folgen, die daraus eben gerade in Form von Vermittlung, Abkommen und politischen Allianzen entstehen. Vielleicht ist aber all dies auch der Wiederschein von zwei Jahrzehnten einer Konfrontation von noch nie da gewesener Parteilichkeit und Aggressivität, bis hin zum Verlust der Grundidee des bürgerlichen Zusammenlebens, und des vollständigen Verlustes der Verständigungsmöglichkeiten zwischen den gegensätzlichen politischen Gruppierungen.
Ich habe das bereits vor sieben Jahren zur selben Gelegenheit in diesem Saal gesagt, als ich den Wunsch aussprach, die „Zeit der Reife für eine Demokratie der sich abwechselnden Mehrheiten" sei nahe: Das bedeutet auch die Zeit der Reife für die Suche nach gemeinsamen Regierungsentscheidungen, wenn Notwendigkeit dazu besteht. Anderenfalls müsste man die Unregierbarkeit zumindest dieser gerade begonnenen Legislaturperiode feststellen.
Doch habe ich die Einladung erneut den Eid für das Amt des Staatspräsidenten zu leisten nicht angenommen, um dies festzustellen. Ich habe sie angenommen, damit Italien sich in den nächsten Tagen die Regierung gibt, die sie benötigt und zu diesem Zwecke werde ich das tun, was mir zusteht. Ich werde nicht die Grenzen meiner verfassungsmäßigen Rolle überschreiten und höchstens, um es mit einem Schulausdruck zu sagen, als Koagulationsfaktor wirken. Alle politischen Kräfte dagegen mögen auf realistische Weise ihre Verantwortung übernehmen: Das war der implizite Inhalt des Appells, der vor nunmehr zwei Tagen an mich gerichtet wurde.
Ich trete mein zweites Mandat ohne Illusionen und mehr noch ohne den Anspruch an, meine Funktionen „heilsbringend" auszuweiten. Vielmehr werde ich die mir von der Verfassung zugeteilten Funktionen mit noch größerer Rücksicht auf die gesetzten Grenzen und mit gleich bleibender Unparteilichkeit ausüben. Und ich werde das so lange tun, wie die Lage des Landes und der Institutionen dies erfordern und die Kräfte es gestatten. Für mich beginnt heute in bereits fortgeschrittenem Alter diese unvorhergesehene weitere öffentliche Aufgabe. Für Sie beginnt ein langer Weg, den sie mit Leidenschaft, mit Unbeugsamkeit und mit Bescheidenheit beschreiten müssen. An meiner Bestärkung und meinen Glückwünschen soll es nicht mangeln.
Es lebe das Parlament! Es lebe die Republik! Es lebe Italien!