Roma 17/07/2006

INTERVISTA DEL PRESIDENTE DELLA REPUBBLICA GIORGIO NAPOLITANO AL FRANKFURTER ALLGEMEINE testo in tedesco



INTERVISTA DEL PRESIDENTE DELLA REPUBBLICA GIORGIO NAPOLITANO AL FRANKFURTER ALLGEMEINE

Roma, 16 luglio 2006

 

Herr Staatspräsident, Sie sind der erste ehemalige Kommunist, der Präsident Italiens wurde. Wie kam ein junger Mann bürgerlicher Herkunft in den frühen vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu den Kommunisten?

Viele meiner Generation wandten sich gegen Ende des Faschismus der kommunistischen Partei, dem PCI, zu. Die Triebfeder war eher eine moralische und soziale als eine ideologische. Ich trat dem PCI bei, ohne viel vom Marxismus zu wissen, ohne seine heiligen Texte zu kennen. Wir sahen damals im PCI die Kraft, die den Kampf gegen den Faschismus am organisiertesten und effektivsten führte und die meisten Opfer und Verurteilte zu beklagen hatte; die Kraft, die den größten Beitrag zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus leistete. Hinzu kam etwas anderes: Der PCI stand dem Volk und seinen Problemen am nächsten. Nehmen Sie meine Heimatstadt Neapel oder den Süden insgesamt. Der war damals von größter Rückständigkeit - und da erschien uns der PCI als ein Träger des Fortschritts.

Mitte-linkshat die italienische Parlamentswahl im April ganz knapp gewonnen. Ist Italien ein zutiefst gespaltenes Land?

Was das Wahlergebnis betrifft, gibt es tatsächlich eine Spaltung des Landes in zwei fast gleichgroße Hälften. Hinzu kommt: Unser Land hat sich seit 1993 für ein Mehrheitssystem und für ein Wahlrecht entschieden, das auf einen eindeutigen Bipolarismus hinausläuft. Bisher ist es noch nicht gelungen zu verhindern, daß aus dem Bipolarismus ein tagtäglicher Krieg wird und die beiden Lager überhaupt nicht miteinander reden können. Das muß man leider zugeben. Daß freilich auch das Volk in zwei unversöhnliche Lager gespalten sei - das scheint mir nicht vertretbar.

Die Regierung Prodi plant Reformen, die Privilegien bestimmter Gruppen beschneiden und die auf die Liberalisierung des korporativen Italiens zielen. In Deutschland haben viele Bürger auf ähnliche Reformen mit Ablehnung reagiert. Wie wird es in Italien sein?

Ich bin überzeugt, daß die große Mehrheit der Bürger Italiens die Notwendigkeit sieht, einen Prozeß der Liberalisierung und auch Privatisierung einzuleiten. Lange Zeit hat sich bei uns der Staat in die Wirtschaft eingemischt, die meisten Bürger wissen, daß sich das ändern muß. Natürlich werden durch solche Reformen die Interessen mehr oder minder kleiner, gut organisierter Gruppen getroffen, die einige ihrer Privilegien verteidigen wollen. Die notwendigen Reformen betreffen aber auch den Sozialstaat und damit die große Masse der Arbeiter und Angestellten. Viele haben vielleicht noch nicht verstanden, daßwir uns in der Vergangenheit Errungenschaften geleistet haben, die so nicht zu halten sind, wollen wir nicht im europäischen und im globalen Wettbewerb zurückfallen. Die Angst vor solchen Reformen gibt es auch anderswo in Europa: Die Franzosen lehnten deswegen der europäische Verfassungsentwurf ab. Wir müssen aber lernen: Ohne solche Reformen sind wir zum Niedergang verurteilt.

Italien will noch in diesem Jahr seine Truppen aus dem Irak zurückziehen. Sind Sie für ein weiteres Engagement Italiens im Irak?

Die Regierungsmehrheit sucht einen Weg, wie sich Italien an der Stabilisierung und am Wiederaufbau des Iraks beteiligen kann - freilich ohne jede militärische Präsenz. Den Vereinigten Staaten und den Vereinten Nationen liegt jedoch daran, daß unser Engagement in Afghanistan fortgesetzt wird.

Doch zur Fortsetzung des Afghanistan-Engagements ist die Regierung Prodi auf das oppositionelle Mitte-rechts-Lager angewiesen, da Teile der Regierungskoalition, etwa Kommunisten und Grüne, ihre Zustimmung verweigern.

Auch in einem bipolaren politischen System kann es Fragen geben, in denen es eine Übereinstimmung der beiden Lager gibt. Das gilt in der Regel besonders für die internationale Politik. Ich finde es sehr gut, daß es in solch wichtigen Fragen einen Konsens zwischen den Lagern gibt. Eines aber ist auch klar: Wenn die Regierungsmehrheit in der Frage der Fortsetzung und der Finanzierung der Afghanistan-Mission nicht geschlossen wäre und die entscheidenden Stimmen aus dem Oppositionslager holen müßte, wäre das ein gravierendes Zeichen für die Schwäche des Mitte-links-Lagers. Das hätte Konsequenzen.

Welche Bedeutung haben für Sie gute Beziehungen zu Amerika?
Die Freundschaft mit den Vereinigten Staaten war immer eine der Säulen der italienischen Außenpolitik. Schon in den siebziger Jahren hat das auch die größte Oppositionspartei, die kommunistische Partei anerkannt. Dreißig Jahre später gibt es einige kleine Gruppen, die noch immer eine ablehnende Haltung gegenüber den Vereinigten Staaten sowie der Nato haben.

Die Partei "Kommunistische Neugründung" ist aber immerhin die drittstärkste Regierungspartei ...
... es sind, wie gesagt, nur kleine Gruppen mit einer anachronistischen Einstellung, bar jedes Realismus und ohne großen Rückhalt.

Die lange europabegeisterten Italiener sind europaskeptisch geworden. Warum?
Es ist von größter Bedeutung, daßwir die Motive für diese Verdrossenheit entschlüsseln. Solange Europa mehr Wachstum und mehr Wohlstand bedeutete, fand der europäische Einigungsprozeß sehr breite Zustimmung. In dem Moment aber, in dem an die Stelle der alten Zuversicht Verzagtheit und Furcht treten, schwindet das Vertrauen in Europa. Das mußüberwunden werden, und dazu müssen wir aus der Sackgasse herauskommen, in die der Verfassungsvertrag geraten ist.

In Ihrer ersten Rede als Staatspräsident sagten Sie, Europa sei "für uns Italiener ein zweites Vaterland". Ist das nicht übertrieben?

Ich glaube nicht. In Italien ist dies Gefühl immer noch sehr stark, und wenn ich richtig sehe, sieht es in Deutschland nicht anders aus ...

... in Frankreich aber schon ...
... sicher, da ist es weniger entwickelt, da ist das europäische Projekt strittiger. Aber Deutschland und Italien sind die Säulen dieses Verständnisses von Europa. Und auch neuere Mitglieder der EU haben ein starkes Europa-Gefühl entwickelt - Spanien zum Beispiel.

In Polen regieren die nationalistischen Brüder Kaczynski, in der Slowakei regieren Sozialdemokraten und Rechtsextreme. Gibt die Entwicklung in östlichen Ländern der EU Grund zur Sorge?

Um bei Polen zu bleiben: Ich glaube, daß es da paradoxe Züge gibt. Polen war das erste einst kommunistische Land, das in die EU wollte. Einige Jahre ist es von Persönlichkeiten wie Ministerpräsident Mazowiecki und Außenminister Geremek regiert worden, die überzeugte Europäer sind. Dann aber kam es zu einem Wandel, der sich auch in anderen neuen östlichen EU-Ländern beobachten läßt. Wenn ich richtig sehe, gibt es dort die Angst, EU-Mitglieder zweiter Klasse zu werden. Und es gibt in diesen gerade erst unabhängig gewordenen Ländern die Furcht, wichtige Teile der nationalen Souveränität zu verlieren. Man muß diesen Ländern freilich sagen, daß sie der EU freiwillig beigetreten sind - und daß der Beitritt nun einmal für alle bedeutet, ein bestimmtes Maß an Souveränität abzutreten.

Welchen Beitrag kann Italien leisten für den Wiederaufschwung des europäischen Projekts?
Italien kann da nur zusammen mit anderen agieren - allen voran Deutschland, das vor einer sehr wichtigen Ratspräsidentschaft steht. Italien kann helfen, daß in der Verfassungsfrage eine Lösung gefunden wird, die auch für Staaten wie Frankreich und die Niederlande akzeptabel ist. Man sollte sich auf die reinen Verfassungsteile des Vertrags von 2004 konzentrieren.

In Deutschland redet man viel von Verfassungspatriotismus. Ist das genug an Patriotismus?
Ich glaube, in Deutschland hat sich in den Wochen der WM ein Patriotismus manifestiert, der sich nicht nur auf die Verfassung bezog. In ihm war mehr enthalten, und es war gut so.

Wie gut kennen Sie Deutschland?
Ich kenne das Land ziemlich gut. Es ist ein Land von außerordentlicher Produktivität und großer kultureller Kraft, dazu ein Motor der europäischen Integration. Ich bewundere, mit welcher Selbstverständlichkeit das politische System der Bundesrepublik Deutschlands schwere Bewährungsproben bestanden hat. Nach der Barbarei des Nationalsozialismus ist das demokratische Leben wiedererstanden, und das Land hat stets den rechten wie den linken Extremismus gemieden. Ich halte es für vorbildlich, wie in Deutschland die Parteien zwar in Konkurrenz zueinander stehen, stets aber auch zur Zusammenarbeit fähig sind. Auch den Wandlungsprozeß, den die deutsche Sozialdemokratie durchlaufen hat, habe ich mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Ich gebe zu, daß ich Deutschland um diese Erfahrungen beneide, und ich wünsche mir, daß Italien eine ähnliche Entwicklung nimmt.

Mancher in Deutschland fragt bang, ob das Land wirklich seine Vergangenheit "bewältigt" hat.
Ich glaube, daß sich die Deutschen folgenreich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandergesetzt haben. Deutschland hat sich völlig von der abwegigen Idee eines deutschen Europas gelöst und bewegt sich jetzt sicher in zivilem Fahrwasser. Ich glaube auch, daß offene Diskussionen etwa über revisionistische Positionen fruchtbar sind, denn sie helfen, das demokratische Selbstbewußtsein zu festigen.

Sie hatten einen guten Draht zu Willy Brandt?
Ja. Ich bin früh dafür eingetreten, daß sich der PCI zu einer sozialdemokratischen Partei wandelt. Und diese Bemühungen fanden große Unterstützung bei Willy Brandt, mit dem der PCI seit den Zeiten der Ostpolitik Kontakt hatte. Ich habe oft mit ihm darüber beraten, wie die Hindernisse für einen Beitritt des PCI zur Sozialistischen Internationale aus dem Weg geräumt werden könnten.

Der Turiner Politologe Gian Enrico Rusconi hat kürzlich gesagt, daß sich unsere beiden Länder im Grunde noch immer fremd seien.

In gewisser Weise stimmt das. Denn noch immer sind alte Gemeinplätze und Vorurteile über den jeweiligen anderen unter Italienern wie Deutschen in Umlauf.

Der Art, daß Deutsche von morgens bis abends Kartoffeln essen?
Ja. Oder erinnern Sie sich an das alte Titelbild des "Spiegel", das einen Teller mit Spaghetti zeigte, auf denen eine Pistole lag. Oder: Italiener gleich Pizza. Darüber sollten wir allmählich hinauswachsen. Man muß aber sehen, daß beide Länder eine Menge gemein haben. es ist ihnen wirklich gelungen, sich aus den Ruinen des Nazifaschismus zu erheben. Beide haben den richtigen Weg eingeschlagen: den europäischen. Adenauer und Italiens Ministerpräsident De Gasperi haben Anfang der fünfziger Jahre ihre Völker auf diesen Weg gebracht. Beide Völker sind ihn fortan nebeneinander gegangen.

Man hat Sie oft den "roten Prinzen" genannt. Sehen Sie sich damit richtig charakterisiert?
In meinen Adern fließt kein einziger Tropfen blauen Blutes. Mein Vater stammte aus einem bäuerlichen, meine Mutter aus einem freiberuflichen Milieu. Die Wendung vom "roten Prinzen" kam wohl deswegen auf, weil ich als Jugendlicher ein wenig dem König Umberto II. ähnelte, als dieser jung war. Und dann kommt wohl hinzu, daß manche in meinem Verhalten etwas Aristokratisches zu erkennen meinen. Ich pflege nun einmal einen schlichten, nüchternen Stil.

Die Fragen stellte Thomas Schmid