Besuch des Präsidenten der Italienischen Republik Giorgio Napolitano in Berlin
19. Juli 2006
Presseerklärung
Meine Damen und Herren,
ich danke Bundespräsident Köhler sehr für den so herzlichen Empfang, den er mir und meiner Frau bereitet hat, nachdem wir gemeinsam beim Endspiel der Fußballweltmeisterschaft im Stadion von Berlin Augenblicke sportlicher Emotionen auch seitens der Bevölkerung miterlebt haben.
Richtig ist, daß dies meine erste Auslandsreise als Präsident der Italienischen Republik ist, und richtig ist auch, daß es kein Zufall ist, daß diese mich hierher nach Berlin führt.
Dies ist kein Zufall, sondern erklärt sich aus sehr persönlichen Gründen, nämlich aus der Verbindung, die ich auf historischer und kultureller Ebene tief im Innern wahrnehme, mit dem was Deutschland war und ist.
Dies ist kein Zufall, auch weil die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern, Italien und Deutschland, für die Zukunft der europäischen Einheit wesentlich waren.
Seit den Zeiten von Konrad Adenauer und Alcide De Gasperi standen wir beim Aufbau eines geeinten Europas Seite an Seite. Und wir sind überzeugt, daß wir weiterhin eine entscheidende Funktion bei der weiteren Entwicklung des Prozesses der Integration und der europäischen Einigung übernehmen müssen.
In diesem Geiste haben wir unser extrem herzliches und hochgradig produktives Gespräch geführt.
Wir sind in erster Linie verpflichtet, den Ratifizierungsprozeß bis zum Inkrafttreten des europäischen Verfassungsvertrages weiterzuführen.
Wir sind uns einig, was die Gültigkeit dieses Textes angeht, der das Ergebnis einer langen Debatte und eines mühsamen Kompromisses darstellt. Eine besondere Bedeutung messen wir den ersten beiden Teilen des Vertrages bei, den eigentlichen Verfassungspassagen, die in ihrer Wesentlichkeit auch von den Bürgern verstanden werden können.
Gleichzeitig entwickeln wir parallel gemeinsame Initiativen aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder nur einiger von ihnen. Und ich möchte sagen, daß die jüngsten Gespräche zwischen Vertretern der neuen italienischen Regierung und der Bundesregierung unter diesem Aspekt konkret und ergebnisreich waren. Erarbeitet wurden die Bereiche für gemeinsame Initiativen der beiden Länder und die Gebiete für gemeinsame Aktionen der gesamten Europäischen Union.
Präsident Köhler hat mit großem Nachdruck das Problem des Verhältnisses zur breiten öffentlichen Meinung angesprochen, die von der Botschaft unserer gemeinsamen europäischen Politik nicht in genügendem Maße erreicht wird.
Das trifft absolut zu: wir dürfen nicht nur auf die Welt der Politik blicken, wir müssen auch die zivile Gesellschaft sehen und uns mit entscheidenden und geeigneten Initiativen auf kultureller Ebene und über die Informationsmedien insbesondere an die jungen Generationen wenden. Somit haben wir begonnen darüber zu sprechen, was wir in diesem Sinne in nächster Zukunft gemeinsam tun können.
Schließlich stehen wir vielfältigen Tatsachen gegenüber, bei denen Europa gefragt ist und die eine neue Entwicklung der europäischen Einheit nahelegen.
Es sind wirtschaftliche Entwicklungen oder Folgen des globalen Wettbewerbs. Aber gleichzeitig und noch mehr sind es die dramatischen Ereignisse, welche die Aufmerksamkeit aller auf die internationalen Beziehungen lenken.
Angesichts der sehr schweren Krise im Mittleren Osten und der aktuellen blutigen Entwicklungen dort, ist die Europäische Union aufgerufen, mehr zu tun, als sie in der jüngsten Vergangenheit getan hat. Wir stimmen darin überein, daß es absolut notwendig ist, der Gewalt ein Ende zu setzen und uns darauf vorzubereiten, einen Beitrag zu der Mission zu leisten, die vom Generalsekretär der Vereinten Nationen im Libanon angekündigt wurde.
Für diese Mission müssen die Vereinten Nationen mit der vorrangigen Rolle der Europäischen Union rechnen können.
Nochmals vielen Dank, Herr Präsident. Ich glaube, daß wir ganz ernsthaft sagen können, daß wir eine absolute Übereinstimmung von Ideen und Horizonten festgestellt haben.