Camera dei Deputati (Aula di Montecitorio) 15/05/2006

Ansprache von Staatspräsident vor den Kammern am tag seines amtsantritts

 

ANSPRACHE

VON STAATSPRÄSIDENT

GIORGIO NAPOLITANO

VOR DEN KAMMERN

AM TAG SEINES AMTSANTRITTS

Abgeordnetenkammer – 15. Mai 2006

Herr Vorsitzender,

verehrte Abgeordnete,

verehrte Senatoren,

Vertreter der Regionen Italiens,

mit tiefer Bewegung wende ich mich an Sie in diesem Saal, in dem ich so viel Zeit meiner öffentlichen Verpflichtungen zugebracht und in dem ich aus der Nähe den Sinn und den Wert der gewählten Institutionen erfahren habe, oberste Grundlage der republikanischen Demokratie. Gerade die gewählten Versammlungen, allen voran das Parlament, sind der Ort der Gegenüberstellung zu den Problemen des Landes, der Dialektik der Ideen und Vorschläge, der Suche der besten und von den meisten befürworteten Lösungen. Die neue Legislaturperiode hat im Zeichen großer Spannungen begonnen, bei Abschluss eines scharfen Wahlkampfes, aus dem beide sich gegenüberstehende politischen Gruppierungen mit einer starken Vertretung der Wählerschaft hervor gegangen sind. Die Übernahme der Regierungsverantwortungen von Seiten des politischen Lagers, das, wenn auch nur mit geringem Vorsprung gewonnen hat, ist der natürliche Ausdruck des Mehrheitswahlrechts, das Italien seit fast fünfzehn Jahren als Regler einer Demokratie des tatsächlich wirksamen Wechsels übernommen hat.

Unter diesen Bedingungen scheint mir aber die Notwendigkeit klarer einer ernsthaften Überlegung zu der Art, in der man in einem bipolaren politischen System die Beziehungen zwischen Mehrheit und Opposition verstehen und pflegen will. Es geht nicht darum, gegenüber der Entwicklung zurückzuschreiten, die die italienische Demokratie dank der Anregung und dem Beitrag von Kräften unterschiedlicher Ausrichtung erfahren hat. Die Tatsache, dass sich ein Klima der reinen Auseinandersetzung und der fehlenden Kommunikation zu Lasten der Suche nach möglichen Bereichen gemeinsamen Einsatzes durchgesetzt hat, muss aber als Zeichen einer noch unzureichenden Reife des Modells der politischen und institutionellen Beziehungen in unserem Land gewertet werden, die sich in den anderen westlichen Demokratien bereits konsolidiert haben.

Nun ist die Zeit für eine Demokratie, in der sich die politischen Kräfte abwechseln auch in Italien gereift. Die gegenseitige Anerkennung, der Respekt und die Bereitschaft zum Zuhören unter den jeweiligen politischen Lagern, die würdige Diskussion im Parlament und in den anderen gewählten Versammlungen, das Definieren von Themen notwendiger und möglichst klarer Konvergenz im Interesse des Allgemeinwohls, sollen den neuen Lauf des politischen und institutionellen Lebens, das mit der Reform des Jahres 1993 und den Wahlen des Jahres 1994 begonnen hat, nicht etwa in Frage stellen, sondern im Gegenteil entschieden stärken.

Dies kann nur dank der Arbeit von organisierten politischen Kräften und ihrer Vertretungen in den vertretenden Institutionen erfolgen, getragen vom Bewusstsein und der Dynamik der sozialen Gesellschaft. Wer zu Ihnen spricht, und die Aufgabe hat, die nationale Einheit zu vertreten, dem obliegt lediglich die Übertragung einer Botschaft des Vertrauens als Antwort auf das Bedürfnis der Sachlichkeit und Ausgeglichenheit, das so dringlich und so verbreitet unter den Italienern geworden ist. Ich bin überzeugt, dass die Politik ihren grundlegenden und unersetzbaren Platz im Leben des Landes und dem Bewusstsein der Bürger wiedererlangen kann. Dies kann ihr umso mehr gelingen, desto mehr sie von Übertreibungen und Engstirnigkeit Abstand nimmt, die auf fatale Weise ihre Anziehungs- und Überzeugungskraft schwächen, und umso mehr sie Moralität und Kultur zum Ausdruck bringt und sich um neue ideelle Motivationen bereichert. Unter ihnen die des Aufbaus gemeinsamer Grundlagen der Erinnerung und der gemeinsamen Identität als lebenswichtige Faktoren der Kontinuität in der physiologischen Aufeinanderfolge verschiedener politischer Bündnisse in der Regierung des Landes.

Es kann aber keine gemeinsame Erinnerung und Identität geben, wenn man nicht erneut die Geschichte unserer Republik wieder herstellt, Geschichte, die vor 60 Jahren als Höhepunkt der mühevollen Erfahrung des Einheitsstaates und noch davor, im Prozess des Risorgimento, gegründet worden ist.

Man kann – glaube ich – nunmehr wieder zueinander finden, wenn man alte und schmerzliche Gegensätze überwindet, die Bedeutung und den entscheidenden Beitrag des Widerstandes anerkennt, ohne dabei Schattenseiten, Exzesse und Irrtümer zu ignorieren. Man kann sich wiederfinden – ohne die Wunden der Vergangenheit wieder aufzureißen - im Respekt aller Opfer und in der nicht rituellen Ehrung der Befreiung vom Nazifaschismus als Wiedererlangung der Unabhängigkeit und der Würde des italienischen Vaterlandes.

Eine gemeinsame Erinnerung als Voraussetzung einer gemeinsamen nationalen Identität, die ihre Grundlage in den Werten der Verfassung begründet. Die Berufung auf diese Werte zieht ihre Kraft aus deren Vitalität, die intakt jeder Kontroverse widersteht. Ich spreche - und es ist richtig, dies auch anlässlich der Feiern des 60sten Jahrestages der Wahl der verfassungsgebenden Versammlung zu tun – von jenen "grundlegenden Prinzipien", die in den ersten Paragraphen der Verfassungscharta das Antlitz der Republik festlegten. Prinzipien, Werte, und Ausrichtungen, die gestern niedergeschrieben wurden, und die heute offen sind, um neue Realitäten und neue Forderungen aufzunehmen.

So verweist der Wert der Arbeit als Grundlage der demokratischen Republik mehr denn je auf die konkrete Anerkennung des Rechts auf Arbeit, das noch weit davon entfernt ist, sich für alle umzusetzen, und auf den Schutz der Arbeit "in all ihren Formen und Anwendungen", und damit auch auf die Formen, die jetzt der Ungewissheit und dem Fehlen von Garantien ausgesetzt sind.

Die unantastbaren Rechte des Menschen und das Prinzip der Gleichheit "ohne Unterscheidung von Geschlecht, Rasse, Sprache und Religion", integrieren und vervollständigen sich in der europäischen Charta, die neuen zivilen und sozialen Rechten offen steht. Man kann nicht umhin, diese Männer und Frauen anzuerkennen, die als Immigranten Teil unserer nationalen Gemeinschaft werden und zu deren Wohlstand beitragen.

Der zentrale Wert des Menschen misst sich mit den neuen Grenzen der Bioethik.

Die Einheit und Unteilbarkeit der Republik hat sich nach und nach mit der weiteren Anerkennung der Autonomie und der Rolle der Regional- und Lokalvertretungen verflochten.

Als weitsichtiger Faktor für den Reichtum und die Öffnung unserer nationalen Gemeinschaft erweist sich der Schutz der sprachlichen Minderheiten.

Grundlegend erscheint auch weiterhin die weltliche Ausrichtung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche, die, ein jeder in seinem eigenen Bereich, als unabhängig und souverän konzipiert worden sind. Die Religionsfreiheit und der Pluralismus der Konfessionen wurden nach und nach definiert und müssen auch weiterhin über vom Staat geförderte Abkommen festgelegt werden.

Eine Bedeutsamkeit und nie da gewesene Dringlichkeit stellen dann sowohl die Entwicklung der Kultur und der wissenschaftlichen und technischen Forschung, als auch der Schutz der Landschaften und des historischen und künstlerischen Erbes der Nation dar.

Die untrennbaren Werte der Zurückweisung des Krieges und der gemeinsamen internationalen Verantwortung in der Sicherung von Frieden und Gerechtigkeit in der Welt, müssen sich schließlich mit neuen, komplexen und harten Prüfungen auseinander setzen.

Nun – Herr Vorsitzender, verehrte Abgeordnete, werte Regionalvertreter – wer kann die außergewöhnliche Weisheit und Entsprechung mit dem Gemeinwohl der Prinzipien und Verfassungswerte bezweifeln, die ich hier aufgezählt habe? In diesem Sinn ist es richtig von einer Verfassungseinheit als Substrat der nationalen Einheit zu sprechen.

Eine resolute Verankerung mit den grundlegenden Zügen der Verfassung aus dem Jahr 1948 darf nicht mit reinem Konservatismus verwechselt werden. Die Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung sprachen sich eindeutig für eine Verfassung aus, die "bestimmt war, anzudauern", für eine strenge, aber nicht unveränderbare Verfassung und sie definierten die Prozeduren und Garantien für ihre Revision. In den Vorschlägen der Revision des zweiten Teils der Verfassung, die nach und nach aufeinander gefolgt sind, sind deren Grundprinzipien niemals in Frage gestellt worden. Aber bereits in der verfassungsgebenden Versammlung wurde – in der Wahl des Modells der parlamentarischen Republik – die Notwendigkeit ausgedrückt "die Bedürfnisse der Stabilität der Regierungstätigkeit zu schützen und Entartungen des Parlamentarismus zu vermeiden". Jene Frage blieb offen und in den vergangenen Jahren sind neue Fragen hinzugekommen, auch über die Rolle der Opposition und das System der Garantien nach den erfolgten Veränderungen der Wahlgesetzgebung. Das vor nunmehr Monaten vom Parlament verabschiedete Gesetz zur Verfassungsrevision ist nun dem abschließenden Urteil des herrschenden Volkes anvertraut; man wird aber in jedem Fall die Möglichkeit neuer Reformvorschläge überprüfen müssen, die in der Lage sind, den notwendigen breiten Konsens im Parlament zu erhalten.

Ich drücke eine tief empfundene und überzeugte Hochachtung für meinen Vorgänger Carlo Azeglio Ciampi für die beispielhafte Ausübung seines Mandats aus, und besonders für den Impuls für eine starke Durchsetzung der nationalen italienischen Identität und einem neuen patriotischen Empfinden, das aber gleichzeitig keinerlei Zurückweichen innerhalb anachronistischer Grenzen und Horizonte bedeutet hat. Wie es bereits die Zeiten vorweg nehmend, in der verfassungsgebenden Versammlung gesagt wurde, ist Europa für uns Italiener eine zweite Heimat. Sie ist dies immer mehr geworden in den fast fünfzig Jahren, die uns von jenen Römischen Verträgen trennen, die für Italien die Unterschrift von Antonio Segni und Gaetano Martino tragen. Der Weg der Integration und des europäischen Aufbaus hat noch viel früher begonnen und war inspiriert von den prophetischen Intuitionen von Benedetto Croce und Luigi Einaudi, und geleitet vom Zusammentreffen so unterschiedlicher Beiträge von Persönlichkeiten wie Alcide De Gasperi und Altiero Spinelli, dem weitsichtigen Staatsmann und dem Beschützer der föderalistischen Bewegung, beide weder kleinlich realistisch noch abstrakt utopistisch.

Die Krise, die seit einem Jahr die Europäische Union ergriffen hat, kann in keinster Weise den zurückgelegten Weg überschatten und das große Projekt des gemeinsamen europäischen Aufbaus als Ergebnis einer historischen Phase abtun, die des in zwei sich gegenüberstehende Blöcke geteilten Kontinents, die 1989 zu Ende gegangen ist. Tatsächlich wurde nicht nur das größte Unternehmen des Friedens des vergangenen Jahrhunderts im Herzen Europas zur Vollendung gebracht, es wurde nicht nur ein außergewöhnlicher und dauerhafter wirtschaftlicher und sozialer, ziviler und kultureller Fortschritt in den Ländern erreicht, die dem Projekt nach und nach beigetreten sind, sondern es wurden die Wurzeln für eine nicht umkehrbare Bewegung der Annäherung und Integration unter den Völkern, den Produktionsmodellen, den Währungssystemen, den Kulturen, den Gesellschaften, den Bürgern, den Jugendlichen der europäischen Nationen geschaffen.

Die wenn auch großen Schwierigkeiten, die der Ratifizierungsprozess des Verfassungsvertrages erfahren hat, werden diese Entwicklung nicht zum Stillstand bringen können: Italien – nachdem seine Regierung und sein Parlament unter den Ersten die Ratifizierung des Vertrages vorgenommen haben – ist stark interessiert und im Einsatz, um die Bedingungen für ein Inkrafttreten eines Textes von wahrer konstitutioneller Wichtigkeit zu schaffen.

Wir fühlen uns zum Nachdenken angeregt, lassen uns aber nicht aufhalten vom Phänomen der Ernüchterung und der Unsicherheit, das sich in der öffentlichen Meinung aufgrund einer ernsthaften Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und des Wohlstands, aufgrund einer offensichtlichen Besorge angesichts der Herausforderungen des globalen Wettbewerbs und der Veränderungen der Gewichte und Gleichgewichte in der Welt, aber auch aufgrund des Erweiterungsprozesses der Union selbst breit gemacht hat. Sicherlich existiert angesichts dieser Herausforderungen keinerlei Alternative zur Wiederbelebung des europäischen Aufbaus.

Italien allein als aktiver Teil im Aufbau eines stärkeren und dynamischeren europäischen Subjekts, und Europa allein über die Vereinigung seiner Kräfte und die Potenzierung seiner Handlungsmöglichkeiten, werden eine effektive, autonome und besondere Rolle in der Durchsetzung einer neuen internationalen Ordnung von Frieden und Gerechtigkeit spielen können. Eine Friedensordnung, in der sich die Demokratie ausweiten kann und die Frage der Menschenrechte vorherrschen kann, und gemeinsam eine Regierung der Entwicklung garantiert werden kann, die dazu beiträgt, Spannungen und drohende Kriege abzuwenden, und die eine Beschränkung für die inakzeptable und alarmierende Verschärfung des Ungleichgewichts zu Lasten der ärmsten Länder darstellen kann, der Völker, die von jeder Art von Unheil heimgesucht werden, wie die des afrikanischen Kontinents.

Der vorherrschende Weg für Italien bleibt daher der des europäistischen Einsatzes, wie ihn Präsident Ciampi in diesen Jahren mit Leidenschaft vertreten hat. Und dabei hat er, glaube ich, das tiefe Empfinden ausgedrückt, das nunmehr vor allem in unseren jungen Generationen gereift ist, deren italienische Seele eins ist mit der europäischen Seele, und die allein in Europa eine Zukunft sehen.

Die Priorität des europäistischen Einsatzes verringert in keinster Weise die Tiefe der Verbindung Italiens mit einer Vision der transatlantischen Beziehungen, seiner historischen Beziehungen mit den Vereinigen Staaten von Amerika und den Beziehungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten als Angelpunkt einer Strategie der Bündnisse, in der gemeinsame Ansätze für die kontroversesten Probleme frei und gleichwertig gesucht werden. In diesem Kontext muss ohne Zögern und Doppeldeutigkeiten die so scharfe, beunruhigende und aufgrund zahlreicher Aspekte neue Bedrohung des Terrorismus fundamentalistisch-islamischer Ausrichtung angepackt werden, ohne diesem heimtückischen Feind je den Vorteil eines Zugeständnisses an die Logik des Aufeinandertreffens von Zivilisationen zu geben, eines Verzichts unsererseits auf das Prinzip und die Methode des Dialogs zwischen verschiedenen Geschichten, Kulturen und Religionen.

Es ist keine Illusion zu denken, dass dieser Rahmen der Orientierungen der internationalen Politik Italiens von den sich gegenüber stehenden politischen Bündnissen gemeinsam getragen werden kann. Innerhalb dieses Rahmens ist es Aufgabe von Regierung und Parlament Initiativen aufzuzeigen, die darauf ausgerichtet sind, zum Dialog und den Verhandlungen zwischen Israel und der palästinensischen Behörde in der vollen Anerkennung des Rechts des Staates Israel in Sicherheit zu leben und des Rechts des palästinensischen Volkes, einen unabhängigen Staat zu bilden, beizutragen. Es ist an der Zeit die Waffe der Selbstmordanschläge zurückzuweisen und entschlossen jedes Wiederaufflammen von Antisemitismus zu bekämpfen.

Gleichsam dringlich sind Initiativen für die Lösung der noch offenen und blutigen Krise im Irak, für die Stabilisierung des demokratischen Prozesses in Afghanistan, auf der Suche nach einem positiven Ausweg für die Besorgnis erregende Spannung mit dem Iran.

Spezifischer obliegt es Regierung und Parlament, Lösungen für den Abzug der italienischen Soldaten aus dem Irak zu bestimmen. Heute ist diese Versammlung vereint in der ehrfürchtigen und bewegten Ehrung all unserer Gefallenen, die den so schmerzlichen Preis der Auslandsmissionen darstellen, die mit Hingabe und Ehre erfüllt worden sind, gleich welcher der Grad des Konsenses in ihrer Verabschiedung war.

Verehrte Parlamentarier, verehrte Regionalabgeordnete, wenn ich jetzt den Blick vom entscheidenden europäischen Horizont auf den Zustand in unserem Land und die Gesamtheit unserer direkten Verantwortungen richte, kann ich mir nur kurze Betrachtungen erlauben, ohne mich in einen Bereich zu begeben, der mehr als alle anderen zur Gegenüberstellung zwischen verschiedenen politischen Ansätzen und Haltungen gehört. Auch hier kann ich lediglich eine Botschaft der Zuversicht ausdrücken, ohne mich pessimistischen Diagnosen über den unvermeidbaren Niedergang unseres Wirtschafts- und Finanzsystems hinzugeben, ohne aber gleichzeitig die Ernsthaftigkeit der Schwächen und Knotenpunkte zu unterschätzen, die überwunden und gelöst werden müssen. Der Knotenpunkt ist –allen voran – die Haushaltsverschuldung. Und gemeinsam damit, die Schwächen des Produktionssystems.

Die italienischen Unternehmen haben bewiesen, es zu verstehen, die Herausforderung anzunehmen, die aus der Tätigkeit auf einem offenen Markt und in freiem Wettbewerb herrührt, und sich in einer aufrichtigen Anstrengung für Wachstum, Innovation und Internationalisierung einsetzen zu wollen. Sie fordern vom Staat, keine unangemessenen Schutzmaßnahmen einzuführen oder zu erhalten, sondern die Wettbewerbsfähigkeit des Systems sowie der privaten und öffentlichen Investitionen zu fördern, und jenen Prozess der Infrastrukturentwicklung wieder aufzunehmen, der einen so großen Anteil am Wachstum der Nachkriegszeit hatte. Das Bedürfnis ungerechtfertigte Beschränkungen und Verpflichtungen abzuschaffen, wird aber begleitet von dem, wirksame und effiziente Regeln und Kontrollen zu garantieren.

Unser Land kann nicht auf seine großen Traditionen im Bereich der Industrie und der Landwirtschaft verzichten, die sich noch in wichtigen Forschritten auch technologischer Art ausdrücken – so sehr, dass sie in neuester Zeit zu einer außerordentlichen Belebung in schweren Krisensituationen geführt haben und neue, vitale Produktionssysteme angeregt haben. Gleichzeitig erscheint es unabdingbar, den Sektor der Dienstleistungen zu stärken und zu modernisieren und mit Mut und Weitsicht das natürliche und landschaftliche, das kulturelle und künstlerische Erbe ohnegleichen, das Italien besitzt, neu zu bewerten.

Das ist auch die Voraussetzung für jegliche Politik für den Süden Italiens, dessen Regionen zu einer obligatorischen Achse für die Gesamtbelebung der nationalen Entwicklung werden, dies auch aufgrund ihres strategischen Wertes in der neuen großen Perspektive der Investitionsflüsse und des Austausches zwischen dem euromediterranen Bereich und Asien. Es ist, aufgrund der Tiefe der Wurzeln und der politischen und Lebenserfahrungen, die mich mit dem Süden verbinden, nicht notwendig, dass ich diesbezüglich weiteres hinzufüge, verehrte Parlamentarier und Regionalvertreter: Es sind keine weiteren Worte notwendig, um Ihnen eine so tief empfundene Hoffnung anzuvertrauen.

Es sind ganz allgemein meine gesamten Erfahrungen in der Politik und im Leben insgesamt, die mich dazu bringen, das Problem der Wiederbelebung unserer Wirtschaft nachdrücklich zu verbinden mit dem der sozialen Gerechtigkeit, der Bekämpfung der angestiegenen Ungleichheiten und der neuen Ausgrenzungen und der Armut, des konsequenteren Einsatzes für eine Erhöhung der Beschäftigung und dem Beschäftigungsniveau der Bevölkerung, dem nicht umgehbaren Problem der Verbesserung der Situation von Arbeitern und Rentnern und einer erneuerten Garantie der Würde und der Sicherheit der Arbeit.

Es bedarf größerer sozialer Gerechtigkeit und Zusammenhalts. Wenn in diesem Sinn den Gewerkschaften, die sich überdies vor einem Arbeitsmarkt in einer tiefgreifenden Veränderung befinden, der eine starke Öffnung gegenüber Innovationen fordert, eine entscheidende Rolle zukommt, ist es auch Interesse und Verantwortung der Unternehmerkräfte, Politiken des Zusammenhalts und der Solidarität zu verstehen und umzusetzen.

Wenn wir uns – vor so komplexen Problemen und so schwerwiegenden Verpflichtungen – fragen, ob wir es schaffen können, müssen wir auf die Ressourcen blicken, die Italien besitzt. Es sind Ressourcen der Regional- und Lokalinstitutionen, die ihre Autonomien in verantwortungsbewusster und loyaler Zusammenarbeit mit dem Staat ausüben und auf den einheitlichen Einsatz der öffentlichen Verwaltung zählen, die im ausschließlichen Dienst der Nation steht. Es sind gleichzeitig die Ressourcen eines reichen zivilen und kulturellen Gewebes, aus denen ein wertvolles Potential der Subsidiarität entspringt, aufgrund des Beitrags, den die vermittelnden Gemeinschaften, die weltlichen und religiösen Verbände und die non profit-Organisationen bewiesen haben, geben zu können und weiterhin geben. Es sind die Ressourcen der Basisteilnahme, die die lokalen Institutionen so sehr anregen und in die richtigen Bahnen lenken können.

Und es sind die Ressourcen der Familien: wie die, die wir in diesen Wochen vereint um die Gefallenen von Nassirya und Kabul gesehen haben. Arbeitsame und einfache Familien, die ihre Kinder im Sinn der Pflicht gegenüber dem Vaterland und der Gesellschaft erziehen. Familien, die den größten Reichtum Italiens darstellen.

Und weiter müssen wir – lassen Sie mich an die hervorragende Persönlichkeit von Nilde Iotti erinnern – auf die hervorragenden Ressourcen der weiblichen Energien zählen, die weder in der Arbeit noch im öffentlichen Leben mobil gemacht oder angemessen bewertet sind: Vorurteile und Abschottungen, mit der enormen Verschwendung, die daraus hervorgeht, die nun nicht mehr toleriert werden können.

Wir zählen schließlich auf die Ressourcen, die den jungen Leuten, Männern und Frauen in der Ausbildung zugeschrieben werden können, dank eines Ausbildungssystems, das bis zum höchsten Niveau allen gleiche Möglichkeiten der Entwicklung der Person bietet und Verdienst und Hingabe in Studium und Arbeit auszeichnet.

Aus all dem entstehen die Gründe für ein nicht rhetorisches Vertrauen in die Zukunft unseres Landes.

Unsere Zukunft ist aber auch an Probleme gebunden, die sich nunmehr in das große Szenario des europäischen Raumes der Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit einfügen. Sehr schwierig bleibt die Bekämpfung der Kriminalität, eine aggressive Präsenz, die immer noch so schwer auf den Entwicklungsmöglichkeiten des Südens lastet, sowie die Herausforderungen der neuen Bedrohungen des internationalen und internen Terrorismus. Vertrauen gibt uns aber die Tatsache, dass der Staat auch in den letzten Jahren bewiesen hat, auf die wirksame und gemeinsame Aktion der Justiz und der Polizeikräfte zählen zu können, denen allen ich – da ich selbst aus meinen Regierungsverantwortungen gelernt habe, deren Einsatz und Elan besser zu kennen und zu schätzen – unsere größte Anerkennung aussprechen möchte.

Sicher, die Probleme der Legalität und der allgemeinen Moralität sind noch auf beunruhigende Weise und auch in Bereichen offen, von denen wir hofften, dass sie immun bleiben könnten. Kritisch sind dagegen leider weiterhin die Bedingungen, unter denen die Rechtssprechung erfolgt, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Prozessdauer.

Zu viele Spannungen umgeben auch noch die Beziehungen zwischen Politik und Justiz, sie stören so die Ausübung einer der wichtigsten von der Verfassung vorgesehenen Funktionen und verletzen die Würde derjenigen, die aufgerufen sind, diese zu erfüllen. Auch in diesem so heiklen Bereich, wie auch in den notwendigen Reformprozessen, empfindet man das Bedürfnis nach Sachlichkeit und Ausgewogenheit.

Ernsthaft und komplex sind daher die Verpflichtungen, denen Politik und Institutionen nachkommen müssen. Italien lebt einen schwierigen Moment: aber dramatisch, nicht nur schwierig war die Zeit, die Italien in den Jahren nach dem Krieg und der Befreiung vom Nazi-Faschismus erlebte, als sie das Erbe schrecklicher materieller und moralischer Zerstörungen antreten musste und auch die Erschütterungen eines ideellen und Wahlkonflikts angehen musste, wie dem, der das Land in der Wahl zwischen Monarchie und Republik zweiteilte.

Damals überwog – den wichtigsten Beweis lieferte die verfassungsgebende Versammlung – und siegte über alle Schwierigkeiten der Sinn für die gemeinsame nationale Mission, die stärker war als die doch legitimen ideologischen und politischen Kontraste. So will mein heutiger Aufruf zur Einheit nicht eine Realität scharfer Unstimmigkeiten vor allen in den Spitzenpositionen der nationalen Politik versüßen, sondern eben unter den Italienern einen neuen Sinn für die Mission wecken, die erfüllt werden muss, um unserer Gesellschaft Elan und Zusammenhalt zu geben, unserem Land die Rolle zu versichern, die ihm in Europa und in der Welt zusteht.

Dies ist auch ein Aufruf, der vielleicht größere Entsprechung in jenem tiefen Italien finden kann, das Italien der hundert Provinzen, das Italien der täglichen Anstrengung und des Willens, voranzuschreiten, die mein Vorgänger erforschte und das Bild einer Übereinstimmung der Absichten und Werke gewann, das fester ist, als man allgemein glaubt.

Ich empfinde es als meine Pflicht, einen gelasseneren Austausch unter der politischen Kräften sowie weitreichendere, konstruktive Konvergenzen im Land zu fördern; dies ist aber eine Pflicht, die ich mit der notwendigen Nüchternheit und unter strenger Beachtung der Grenzen ausführen werde, die die Rolle und die Befugnisse des Staatspräsidenten in der gültigen Verfassung bestimmen. Eine Rolle der Garantie der verfassungsrechtlichen Werte und Gleichgewichte; eine Rolle der Mäßigung und der moralischen Überzeugung, der der Sinn und die Pflicht der Unparteilichkeit in der Ausübung aller Funktionen vorausgesetzt ist, die der Präsident zu erfüllen hat.

Als Vertreter der nationalen Einheit greife ich den Bezug auf, der in der Glückwunschbotschaft so klar hervorkommt, die Papst Benedikt XVI. an mich gerichtet hat – an den ich mich mit ehrerbietigem Dank und Gruß wende: Ich greife den Bezug auf die menschlichen und christlichen Werte auf, die Erbe des italienischen Volkes sind, da ich sehr wohl weiß, wie tief die historischen Beziehungen zwischen dem Christentum und dem Aufbau Europas gewesen sind. Ich gewinne daraus die Überzeugung, dass man die soziale und öffentliche Dimension der Religion auf weltlicher Ebene anerkennen und in Italien konkret die Zusammenarbeit zwischen Staat und katholischer Kirche in zahlreichen Bereichen im Namen des gemeinsamen Wohls entwickeln muss.

Im Moment, in dem er sein Mandat antritt, würdigt der Staatspräsident den Verfassungsgerichtshof als Organ höchster Garantie, das seit 50 Jahren über den vollen Respekt unseres Grundgesetzes wacht; den Obersten Gerichtsrat als Ausdruck und Schutz der Autonomie und Unabhängigkeit jener Ordnung von jeder anderen Macht; alle öffentlichen Verwaltungen, alle Organen und Körperschaften des Staates und insbesondere die italienischen Streitkräfte, die immer höhere Niveaus modernster Professionalität und Effizienz vorweisen, so wie alle verschiedenen Einzelkräfte, die im konvergierenden Einsatz zum Schutz des grundlegenden Guts der Sicherheit der Bürger im Einsatz sind.

Ein Zeichen besonderer Aufmerksamkeit geht an die Welt der Schule und der Universität und an diejenigen, die aufgerufen sind, die Ausbildungsfunktion hoch zu halten. An die, die im Bereich der Information tätig sind, geht ein überzeugter Aufruf, die Freiheit und den Pluralismus in ihrem Sektor als unverzichtbare Bedingungen für die Demokratie zu schützen.

Ich richte einen dankbaren und respektvollen Gedanken an all meine Vorgänger, Persönlichkeiten verschiedener ideeller Ausrichtungen und Volkstraditionen, die sich im Primat der grundlegenden Werte wiedergefunden haben: Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität.

Eine besondere Erinnerung geht an den ersten Staatspräsidenten, Enrico De Nicola, der das Symbol der Befriedung in einem umstrittenen historischen Übergang war und mit dem ich durch Beziehungen althergebrachter Familienfreundschaft und durch den gemeinsamen Einsatz verbunden war, in unterschiedlichen Epochen im Parlament unsere große, großzügige und komplexe Stadt Neapel zu vertreten.

Herr Vorsitzender, verehrte Parlamentarier, verehrte Delegierte, ich verbeuge mich vor dieser Versammlung, in der sich alle Italiener wieder erkennen, erstmals auch die, die im Ausland tätig sind, deren Gemeinschaften endlich eine Stimme haben, um ihre Bedürfnisse und Erwartungen auszudrücken. Ich werde zu keinem Zeitpunkt der Präsident nur jener Mehrheit sein, die mich gewählt hat; ich werde Aufmerksamkeit und Respekt für Sie alle haben, für alle ideellen und politischen Positionen, die Sie vertreten; ich werde meine Energien uneingeschränkt dem Allgemeinwohl widmen, um ohne politische Unterschiede auf das Vertrauen der Volksvertreter und der italienischen Bürger zählen zu können.

Es lebe das Parlament!

Es lebe die Republik!

Es lebe Italien!