Quirinalspalast 11/11/2014

Tischrede des Präsidenten der Italienischen Republik Giorgio Napolitano anlässlich des Staatsbanketts zu Ehren desPräsidenten der Republik Österreich Heinz Fischer


Sehr geehrter Herr Bundespräsident, verehrte Frau Fischer,
liebe Freunde,
meine Damen und Herren,

es ist mir eine besondere Freude und große Ehre, Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin im Quirinalspalast zu empfangen. Für uns ist es die Bestätigung einer echten und tiefen Freundschaftsbeziehung, die bereits vor Jahrzehnten begann und sich im Laufe der Jahre ständig verstärkt hat.

Unsere Treffen in Florenz, Wien, Salzburg, Meran - um nur einige zu nennen - stellten Etappen eines sehr positiven Weges dar, auf dem wir uns in vollkommener und konstanter Übereinstimmung für die Beziehungen der Freundschaft zwischen Österreich und Italien und für eine substantielle Weiterentwicklung der europäischen Einheit verwendet haben.

Lieber Freund, wir gehören einer Generation an, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Wiedergeburt der Idee eines Europa und den Beginn eines bisher unbekannten Integrations-projektes erleben konnte, der zwar mühsam und oft von Spannungen und kritischen Momenten gekennzeichnet, aber auch reich an historisch außergewöhnlichen Ergebnissen war.

Dennoch dürfen wir nicht übersehen, dass das Bewusstsein der erreichten Ziele in hohem Maße von der Krise in den Schatten gestellt wurde, die ab 2008-2009 die europäischen Wirtschaftssysteme betroffen und die Institutionen der Europäischen Union auf eine harte Probe gestellt hat. Die gemeinsamen Bemühungen Italiens und Österreichs müssen daher darauf ausgerichtet sein, mit größter Überzeugungskraft auf den ausschließlich destruktiven Charakter der anti-europäischen Bewegungen und den irreführenden Irrealismus und Anachronismus der nationalistischen Strömungen hinzuweisen, die sich der Strategie einer immer engeren und wirksameren europäischen Integration, - der einzig erfolgverheißenden Strategie in einer globalisierten und radikal veränderten Welt - entgegenstellen.

Gleichzeitig müssen unseren beiden Ländern, die sich auch in den jüngsten Wahlen zum Parlament in Straßburg durch eine immer noch weit verbreitete und tiefreichende Pro-Europa-Haltung ausgezeichnet haben, entscheidende Impulse und Beiträge zu jener Veränderung gegeben werden, die für die Politik der Union zwingend für einen solidarischen Wiederaufschwung unserer Wirtschaft und für die effektive Arbeitsweise unserer gemeinsamen Institutionen notwendig sind.

Nicht weniger wichtig ist unsere Fähigkeit, auf die Erfahrung der Schaffung Europas in ihrer Gesamtheit hinzuweisen und ihre Dimensionen, die in den letzten Jahren zum Großteil überschattet wurden, wieder ins rechte Licht zu rücken und mit neuen Impulsen zu versehen. Europa als einheitliches Subjekt, das in der Lage ist, eine einschneidende Rolle im derzeit so kritischen Bereich der internationalen Beziehungen zu spielen. Ein Europa der Rechte. Ein Europa der Wissenschaft und Technik. Ein Europa der Kultur, dessen starken Ausdruck wir, lieber Freund Fischer, in der Mailänder Skala, bei den Salzburger Festspielen, oder im Wiener Musikverein gemeinsam erleben konnten. Wir Italiener und Österreicher sehen uns als natürliche und emblematische Träger dieses Europa.

Herr Bundespräsident,

Italien und Österreich teilen, vielleicht auch weil sie beide unter großem Leid aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen sind, eine tiefe Verbundenheit mit dem europäischen Ideal und sind sich, möglicherweise besser als andere, der so bedeutenden Werte des Friedens und der Freundschaft zwischen den Völkern bewusst. Unsere historischen, kulturellen, wirtschaftlichen und - ich möchte das unterstreichen - zivilen und sozialen Beziehungen erleben heute eine Periode außergewöhnlicher Vitalität. Symbol und konkretes Zeichen dafür ist das fruchtbare Modell des Zusammenlebens und der Entwicklung in Südtirol, das auch wegen seiner Flexibilität und Fähigkeit, auf neue Erfordernisse zu reagieren, allgemein anerkannt ist.

Dort, an unseren Grenzen, wo eine unvorstellbare Tragödie stattfand und ganze Generationen von jungen Menschen ihr Leben aus Liebe zu ihrem Land verloren, verläuft heute eine Linie, die uns durch den Prozess der europäischen Integration nicht mehr trennt, sondern uns vielmehr vereint. Hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges werden die Gedenkveranstaltungen, die an den Orten der blutigsten Schlachten statt-finden, immer noch als überaus schmerzvoll empfunden, jedoch ohne Ressentiments und mit einem starken Ausblick auf unsere gemeinsame Zukunft.
Herr Bundespräsident,

im Rahmen der harmonischen Freundschaft, der die Beziehungen zwischen unseren Ländern kennzeichnet, kommt der Zusammen-arbeit auf lokaler Ebene immer größere Bedeutung zu. Die Projekte der „Euroregion" in den grenznahen Gebieten werden gemeinsam mit den großen Infrastrukturprojekten - wie dem neuen Brennerbasistunnel - zu einem weiteren Qualitätssprung in den Beziehungen zwischen unseren Ländern beitragen. Ein Fortschritt, der in den kommenden Monaten auch durch die Verwirklichung des großen und innovativen Österreichischen Pavillons bezeugt werden wird, der bei der Weltausstellung in Mailand zweifellos einen sicheren Erfolg erringen wird.

Herr Bundespräsident,

Italien und Österreich arbeiten wirksam bei den zahlreichen Bemühungen für die Respektierung der Menschenrechte zusammen, die jetzt im Mittelmeer durch die europäische Operation Triton, an der sowohl Italien als auch Österreich beteiligt sind, eine neue Dimension erfahren.

Ich bin überzeugt, dass die Zusammenarbeit zwischen der Hohen Vertreterin und Vizepräsidentin der Kommission Mogherini und dem Kommissar für Nachbarschaft und Erweiterung Hahn in diesem Themenbereich, sowie auch im Hinblick auf die jüngsten dramatischen Herausforderungen im Osten Europas - denen wir mit großem Augenmaß und Vorsicht gemeinsam begegnen müssen - und auf die furchtbaren Krisen, die im Nahen Osten entflammt sind, überaus fruchtbar sein wird. Europa muss heute einen klaren und weitblickenden Aktionsradius seiner Außenpolitik festlegen, der nicht nur die Summe der Außenpolitik aller Mitgliedsländer ist. Die Krise in der Ukraine, die Spannungen auf dem afrikanischen Kontinent und im Nahen Osten sind ein harter Prüfstand, der aber gleichzeitig eine wichtige Gelegenheit für eine konkrete Bestimmung der gemeinsamen Interessen und Ziele der Union darstellt.

Herr Bundespräsident, lieber Freund,

die Freundschaft, die uns verbindet und die Besonderheit der Beziehungen zwischen unseren Ländern macht Ihren Besuch zu einem Ereignis von besonderer Bedeutung. In der Überzeugung, dass die bereits stattgefundenen Gespräche und die Treffen, die Sie morgen haben werden, den außergewöhnlichen Charakter der Beziehungen unserer Länder entsprechend widerspiegeln werden, bitte ich alle, ihr Glas auf die weitere Vertiefung der Freundschaft zwischen Italien und Österreich zu erheben.